Felix Rüschkamp - Nachruf
I. Ausbildungszeit
II. P. Rüschkainp findet sein Fachgebiet
III. Der Wissenschafter
IV. Sein Ringen um die Abstammungsfrage
V. im Trutz 55
P. Felix Rüschkamp

gestorben am 3. Juli 1957 in Frankfurt/Main 

von P. Wilhelm Bönner 



P. Felix Rüschkamp war ein Grandseigneur eigener Art mit einem guten Schuß bonhomie: zielbewußt, selbstsicher, großzügig ohne viel Hemmungen, aber voll Humor und immer guter Laune. Ich glaube, so kann man seine natürliche Veranlagung am besten umschreiben, und die Schlüssel zum Verständnis seines Lebens finden. 
 


I. Ausbildungszeit

So kam er also am 27. April 1908 in das Noviziat in Exaten, und so ist er auch sein ganzes Leben geblieben. im Noviziat traf er nur ein kleines Häüflein Hentrich, Becker, Kircher und Bönner, Car. Buken war eben, nach einem Jahr Noviziat, gestorben, und unser Novizenpater Landvogt war schon in die Philosophie nach Valkenburg abgereist. Car. Rüschkamp war der Alteste im Noviziat. Er war am 8. Oktober 1885 zu Lüdinghausen geboren und trat so, schon 22 1/2 Jahre alt, in die Gesellschaft ein; er hatte eben am Paulinum in Munster sein Abitur gemacht. Weshalb es so spät wurde, ist nicht überliefert; ich vermute, der Ubergang von Feldkirch, wo er vorher war und wo bekanntlich das Schuljahr von Herbst zu Herbst geht, hat ihm Zeitverlust gebracht. P. Rüschkamp kannte die Gesellschaft gut, das merkte man gleich. Der P. Novizenmeister Müller und sein Sozius P. Kempf waren ihm nicht so ehrfurchtgebietende Gestalten wie uns Neulingen im Kreise gottgeweihter Personen. Obwohl er eine Schar erlauchter Männer mit ins Noviziat brachte: P. Bücken, P. Irlenborn, P. Steiner und die Carissimi Krischer, Ternus, Mangeot, Friedrichs, Przywara, Sladeczek - wahrhaft große Gestalten - lag er bald allen gegenüber in Führung - wenigstens was so den Ton, die Spaziergänge und Erholungen betrat. Er kam schon - woher das Interesse stammte, weiß ich nicht - als Biologe voll von Plänen und Ideen und zog allmählich die ganze Belegschaft in seinen Bann. Er hatte bald allerhand Apparate und Instrumente bei der Hand, und ich staune heute noch, wie er das dem P. Novizenmeister gegenüber alles fertig brachte, aber er brachte es fertig und zwar durchaus richtig. Ich erinnere mich noch gut, wie wir zusammen die metertiefen Höhlen des Mistkäfers mit Wachs ausgegossen haben und an dem Abguß die Spuren der Grabfüße bewunderten. Später rückten wir dann ein wenig auseinander. Wir Zweitjährigen stiegen mit breitem Cingulum und hohem Birett wie das damals noch üblich war, in das Juniorat auf, erhielten bald die Tonsur und die niederen Weihen und fühlten uns als Kleriker. Aber in Valkenburg fanden wir uns ein Jahr später wieder zusammen. Wir waren bald eifrige Begleiter P. Wasmanns auf seinen Exkursionen, Fr. Rüschkamp kam schon 1912 mit einer Publikation heraus, dann trennten sich unsere Wege. P. Rüschkamp blieb seinen Käfern treu, mich führte es in ganz andere Gebiete. 

Als Scholastiker war Fr. Rüschkamp in der Kommunität sehr beliebt; immer vergnügt und unternehmungslustig, war er ein gern gehörter Vortragskünstler bei allen Festlichkeiten. Schon aus seinen Gymnasialzeit wird davon berichtet: 

"P. Felix Rüschkamp S.J. war voller schalkhafter Einfälle. Nach einer lustigen Fastnachtssitzung sagte er: "Jungens, ich habe eine Idee". Leise zogen sie durch die Nacht an dem alten Jesuitenkolleg vorbei zum Pennal. Da standen in den Gängen auf Wandkonsolen die Büsten der ehrwürdigen Heroen, des Homer, Sokrates, Plato, Sophokles. . . . . Als am nächsten Morgen der alte Geheimrat Direktor Dr. Frey sein Gymasium betrat, erstarrte ihm fast das Blut in den Adern: Homer trug eine dicke rote Nase, Sokrates ein spitzes kleines Fastnachtshütchen, und ähnlich waren die Heroen alle lästerlich und greulich entstellt. Bedrückt begann er seine Horaz-Stunde auf der Prima: "Nö-tö-tä . . . Etwas Unerhörtes hat sich in unserer ehrwürdigen Schule ereignet. . . . ."  Da hebt Felix den Finger: "Herr Geheimrat, darf ich vielleicht mit zwei gewandten Turnern den Unfug entfernen?" "Rüschkamp, ich wäre Ihnen sehr dankbar." Felix bildete eine Pyramide - er war ein schlanker, geschickter Turner - und holte Nasen und Hüte herunter. "Rüschkamp, ich danke Ihnen" - und eine eins kam in das Notizbuch des Direktors." [Schola Paulina. Mitteilungsblatt der alten Pauliner. 6. Oktober 1958. S. 20.] 

Einer seiner Gesänge im Scholastikat hatte ein kleines Nachspiel. P. Wilh. Wiesebach, hoher Theologe und vielleicht schon Priester, war beim Zimmerputzen -- damals noch mit Wasser und Schrubber -- ausgerutscht und in den Eimer gefallen, was bei seiner Körperfülle nicht ohne jeden Leibschaden abging und somit nicht verborgen bleiben konnte. Fr. Rüschkamp verfaßte einen langen Cantus mit dem Kehrreim: 

"Das ist der hosennasse Wiesebach, 
Der auf den Beinen schwach, 
Doch der sonst wunderbar." 
P. Wiesebach fühlte sich gekränkt, er hatte selbst eine dichterische Ader. Aber dies war zuviel. Er ging den Weg offizieller Beschwerde, und so wurde der Kehrreim mit seiner einprägsamen Melodie unsterblich. 

Seine Kollegzeit verbrachte Fr. Rüschkamp von 1913-1917 in Feldkirch und zwar merkwürdigerweise, vielleicht auch klugerweise, nicht als Magister der Naturwissenschaften, mit denen er sich so eingehend befaßt hatte, sondern als Präfekt der 2. Division des 2. Pensionates. Da er selbst hier Zögling gewesen war und somit den ganzen Betrieb kannte, war er auch dazu wohl besonders geeignet. Dann aber war es wohl militärdienstlich nicht mehr möglich, ihn im Kriege noch länger in der Heimat zu behalten. Er war wohl, wie viele andere, mittlerweile Subdiakon geworden und wurde nun in das Malteser-Kriegslazarett 8 berufen, aber anscheinend immer auf einem Außenposten beschäftigt. Er war Regisseur eines Passionsspieles und stand als geschickter Organisator in großem Ansehen. [In den Bänden I und II über Kriegslazarett 8 soll allerlei zu finden sein; aber ich konnte diese Bände nicht ausfindig machen.] 

1918-1922 machte P. Rüschkamp seine Theologie, die beiden ersten Jahre in Valkenburg, schon 1920 am 28. August, auf Grund der noch geltenden Privilegien für die KriegsdienstpfIichtigen mit der Priesterweihe gekrönt. Die beiden letzten Jahre studierte er in Maastricht, Das Holländische lag ihm nahe; er sprach sehr gut den münsterlandischen Dialekt und Augustin Wibbelt war sein Lieblings-Schriftsteller, aus dem er gerne vorlas. In Maastricht konnte er die Beziehungen zu dem größten Käferfachmann Hollands, Herm. Everts, leichter aufrechterhalten, zumal er sich die Käfer-Fauna der Rheinlande mehr und mehr zum Fachgebiet gewählt hatte. 1922-23 folgte dann das Tertiat unter P. Sierp in Exaten. 
 


II. P. Rüschkainp findet sein Fachgebiet

Nun kam die Entscheidung für seine Lebensarbeit in der Gesellschaft P. Rüschkamp hatte das Zeug zu vielem. Er wäre ein ausgezeichneter Prediger und Seelsorger geworden. Er hatte großes Geschick mit Menschen umzugehen und sie ohne viel Aufhebens zu führen. Er wäre ein ausgezeichneter Magister für Naturwissenschaft an einem Gymnasium geworden. Er wußte gut zu beobachten, lebendig zu schildern und interessant, ja amüsant zu unterhalten. Das werden wohl die Gründe gewesen sein, daß man ihn für das Kolleg in Godesberg bestimmte. Er selbst hatte sich seine Arbeit wohl so gedacht, wie sie P. Wasmann als Mitarbeiter der "Stimmen der Zeit" ausübte, um dann, nach dessen Tod, diese Sparte in den Stimmen zu übernehmen. Tatsächlich wurde er vom Jahre 1932 an ein fleißiger Mitarbeiten der Stimmen. Vorerst gingen die Wege anders. P. Rüschkamp sollte Religionslehrer in Godesberg werden mit Latein und Hebräisch als Nebenfächern. Aber dieses Experiment glückte, wie wohl vorauszusehen war, nicht. P. Rüschkamp war nichts weniger als ein Philologe, er war gewöhnt in Formen und Bildern zu denken, aber Sprachwurzeln und Sprachregeln raubten ihm den Schlaf, Er wurde einfach nicht fertig damit und bat um einen Tausch der Fächer und studierte dann Naturwissenschaft mit Biologie als Hauptfach. Das war sein Element, er brachte schon große Kenntnisse mit, aber er machte nicht das Staatsexamen, sondern den Doktor aus seinem engsten Fachgebiet über die Deckflügel der Käfer. Die Arbeit fand sehr großen Anklang, und man findet sie in allen Lehrbüchern der Insekten-Anatomie als grundlegend angegeben. 

Für P. Rüschkarnp taten sich nun neue Wege auf. Mittlerweilele war St. Georgen neu gegründet worden und brauchte Dozenten. Der erste Rektor, P. Ludwig Kösters, nahm von Düsseldorf gleich zwei mit, P. von Nell-Beuning und P. Gierens, dazu noch P. Zurhausen als Spiritual. Er bot mir den Posten der Kosmologie des Organischen an. Aber dann ware P. Kother mit P. Pieper allein für die "Rurag" übriggeblieben. Aus diesem und anderen Gründen lehnte ich dankend ab, und so übernahm P. Rüschkamp diese Arbeit vom Jahre 1927 an zuerst von Bonn aus, später in St. Georgen. Hier hat er nun bis zum Jahre 1939 mit großem Erfolg gewirkt. Er war ein sehr beliebter Professor, dessen lebhafter und witziger Vortrag die Schüler begeisterte, wenn ihm auch die lebendige Natur mit ihren biologischen Fragen mehr lag als die scholastischen Spekulationen über die Geheimnisse des Lebens. In der Frankfurter Naturforscher-Vereinigung "Kewwerschachtel" die mittwochs zusammenkam, war er ein angesehenes und wegen seines heiteren Wesens beliebtes Mitglied. Daneben verwaltete er mit dem Praefectus Bibliothecae die Bücherei. Überall zeigte sich seine praktische Begabung und die Sorgfalt in der Buchführung des damals bescheidenen Etats. Nebenher gingen viele Artikel für die Stimmen und fachwissenschaftlichen Zeitschriften, sowie eine Menge fesselnder Vorträge, wo seine Leichtigkeit in Rede und Formulierung zur Geltung kam. 
 


III. Der Wissenschafter

Nun ist es wohl Zeit, P. Adolf Haas das Wort zu gönnen über die wissenschaftliche Tätigkeit unseres Mitbruders: 

Es unterliegt keinem Zweifel, daß P. Rüschkamp unter den deutschen Zoologen einen guten Ruf als Wissenschaftler besaß, Besonders aber seine anthropologischen Arbeiten fanden nicht nur in deutschen Leserkreisen ein weites Echo, wenn auch manche kirchliche Kreise an der damals noch etwds kühn klingenden Ausdrucksweise Rüschkamps Anstoß genommen haben. Viele Mitbrüder, die P. Rüschkamp näher gekannt haben, waren darum der Meinung, er hätte bei seinen Käfern und Ameisen bleiben sollen und sich nicht in das heikle Gebiet der Abstammung des Menschen begeben dürfen. Persönlich bin ich zwar nicht der Meinung, da Rüschkamp damals mit seinen anthropologischen Arbeiten in vielen naturwissenschaftlichen Kreisen sehr viel Gutes gestiftet hat. Dennoch ist es absolut richtig, daß seine eigentliche wissenschaftliche Stärke auf dem Gebiet der Insektenkunde, der Entomologie, lag. Die zahlreichen Arbeiten, die er hier in wissenschaftlichen und populären Fachzeitschriften veröffentlichte, füllen zusarnengenommen zwei dickleibige Bände. Ich glaube, wir können der wissenschaftlichen Leistung unseres verstorbenen Mitbruders am besten gerecht werden, wenn wir uns kurz einen Uberblick über diese Arbeiten verschaffen.

P. Ruschkamp ist nicht - wie viele seiner Mitbruder glauben - durch Zufall oder durch Eingehen auf eine wissenschaftliche Modeerscheinung auf die Frage der menschlichen Abstammung gestoßen. Alle wichtigen Arbeiten von 1912-1936 beschäftigten sich bereits mit dem Artbildungs- und Abstammungsproblem. Wir können zwei große Gruppen in diesen Arbeiten unterscheiden: Von 91 Arbeiten beschäftigen sich die meisten mit Evolutionsfragen aus der Sicht der modernen Ökologie, Ethnologie, vergleichenden Morphologie, Bio-Genetik und Bio-Historie; eine zweite Gruppe von Veröffentlichungen behandelt das Artbildungsproblem aus der Sicht der Faunenstatistik und Faunenanalyse. Wenden wir uns zuerst der ersten Gruppe der Rüschkamp'schen Arbeiten zu. Es ist fast selbstverständlich, daß die ersten Forschungen noch ganz unter dem Einfluß des weltberühmten Ameisenkenners P. Wasmann S. J. standen. 1912 veröffentlicht Rüschkamp seine erste Arbeit "Aus dem biologischen Institut Valkenburg": Eine neue natürliche rufa-fusca-Adoptionskolonie". Diese Veröffentlichung hat nur etwas mehr als zwei Seiten, offenbart aber schon den scharfen Beobachter und kritischen Beurteiler, der es wagt, den Meister Wasmann vorsichtig zu kritisieren und dessen Beobachtungen eigenständig zu ergänzen. Wasmann hatte nämlich bisher nur Fälle gekannt und veröffentlicht (vergl. Biol. Zentralblatt 1909, S. 684), in denen es sich um eine gewaltsame Beseitigung eines fusca-Weibchens durch die fremde Königin handelte. In Rüschkamps Beobachtung handelte es sich aber um die Adoption einer rufa-Königin in einer weisellosen, alten, aussterbenden fusca-Kolonie. Am Schluß dieser Arbeit greift Rüschkamp bereits weit aus, wenn er sagt: Und doch sind diese bionomischen Fragen für das Problem der Instinktentwicklung von anerkannter Wichtigkeit, und ihre Lösung auf Grund reichen Tatsachenmaterials verspricht für die vergleichende Tierpsychologie und die Entwicklungstheorie wertvolle Lichtblicke."

Ein Jahr später (1913) erscheint im Biologischen Zentralblatt, in dem auch die erste Arbeit erschienen war, eine weitere Arbeit über "eine dreifach gemischte natürliche Kolonie. Formica sanguinea-fusca-pratensis". Diese Veröffentlichung wurde von Wasmann sehr beachtet und mit einem wissenschaftlichen Nachwort versehen, in dem er eine andere Deutung als die Rüschkamps vorschlägt. Auf jeden Fall würdigte Wasmann voll und ganz die wissenschaftliche Eigenständigkeit seines jungen Mitarbeiters. Unter den zahlreichen biologischen Veröffentlichungen Rüschkamps finden sich nur noch zwei weitere aus dem Gebiet der Ameisen-Forschung: 1921 bespricht er Wheelers Trophallaxistheorie und den Ursprung der Insektenstaaten (Biol. Zentrbl. 41, 482-494) und 1924 gibt er in der "Zeitschrift für wissenschaftliche Insektenbiologie" (Bd. XIX) eine wertvolle Beobachtung über "Instinktmodifikation in einer Ameisen-Adoptionskolonie" bekannt. Über diese letzte Veröffentlichung urteilt der bekannte Ameisenforscher Prof. Dr. Karl Gösswald: "Der Fall der Instinkabänderung bei Lasius bicornis in Anpassung an fuligonosus ist geradezu erstaunlich und gehört zu den allerbedeutendsten Feststellungen auf dem Gebiet der Ameisenforschung." Um einen Eindruck von der lebendigen, impulsiven Schreibweise Rüschkamps zu vermitteln, zitiere ich aus der genannten Arbeit einige Sätze: "Im Juni dieses Jahres beobachtete ich in Feldkirch (Vorarlberg) an einem alten Birnbaume Lasius fuliginosus Latr. mit einer starken gelben Lasius-Art friedlich gemischt in Kolonien am Stamm auf- und niedersteigen, natürlich zum Besuch der Aphidenherden. Dafür zeugte der geschwollene Hinterleib der herabkommenden schwarzen und gelben Individuen. Die Lupe zeigte klar den dreieckigen starken Schuppen-ausschnitt, das Kennzeichen der bicornis Först. Die Kolonnen gingen durch die gleichen Eingänge am Fuß des Baumes ein und aus. Das seltsame Schauspiel überraschte mich. Spielt sich doch das Leben der bicornis sonst ganz und gar im Verborgenen ab, hier aber teilte sie die Lebensweise der schwarzglänzenden Holzameise, mit der sie vergeseilschaftet war. Einer solchen schwarz-gelben Allianz war ich noch nie begegnet. Sicherlich eine erste auffällige Instiktmodifikation . . . Dieser Fall einer natürlichen fuliginosus-bicornis-Adoptionskolonie ist aber vor allem interessant durch die Instinktregulation der Lebensweise, der Ernährung und des Nestbaues. Er gewährt einen neuen Einblick in das Kapitel der Koloniegründung, in die Plastizität der Instinkte bei den Ameisen, einen weiteren Beleg für die alte Wahrheit: Leben ist Veränderung, kein Schema." 

Seine eigentlichen wissenschaftlichen Verdienste hat P. Rüsctkamp aber nicht in der Ameisenkunde erworben, sondern in der Morphologie und Biologie der Käfer. Schon seine erste Arbeit über dieses Gebiet Zur Biologie der Drilidae und Micromalthidae" (1920) zeigt ganz klar, daß hier ein Biologe sein ihm entsprechendes Objekt gefunden hatte. Wenn man heute diese Arbeit durchliest, ist man erstaunt, mit welchem liebevollen Affekt man noch zu jener Zeit seinen wissenschaftlichen Gegenstand seitenweise beschreiben konnte. Heute würde die ganze umständliche Rhetorik auf wenige Zeilen zusammengestrichen. Ein Mitarbeiter P. Wasmanns, der später durch seine Forschungen an Phoriden (Fliegen) bekannt gewordene P. Hermann Schmitz S. J. (gewöhnlich nur der Käferschmitz" oder Phoridenschmitz" genannt) hatte sich schon vor Rüschkamp mit diesen Käfern befaßt. Die ausgezeichnete Arbeit Rüschkamps fand aber nicht die Anerkennung seines Mitbruders, mit dem er zeitlebens in freundschaftlicher und wissenschaftlicher Rivalität stand. Besonders die entwicklungstheoretischen Höhenflüge von Rüschkamp waren für P. Schmitz nicht nachzuvollziehen. Auf einer billigen Karte schreibt P. Schmitz an Rüschkamp: "Danke noch nachträglich für ihr Drilus-Separat. Es enthält manche Ergänzung, aber einiges, was ich darin zu finden hoffte, suchte ich vergebens." Diese Sätze hat P. Rüschkamp - sicherlich voll innerer Erregung - auf der Karte rot unterstrichen. Von 1920 an folgen nun eine Reihe von Spezialarbeiten über die Käfer, deren Aufzählung wir uns hier ersparen können. Alle diese Arbeiten stehen unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der Wechselwirkung von Lebensraum und Lebensweise bei Käfern. Daß sich P. Rüschkamp schon früh auch mit anderen Lebewesen - außer Ameisen und Käfern - beschäftigte, war für einen biologisch so lebendigen Geist von vorne herein zu erwarten. Immer aber stand der Gedanke der stammesgeschichtlichen Entwicklung im Mittelpunkt des Interesses. So beschrieb Rüschkamp 1925 in der Paläontologischen Zeitschrift" (Bd. VII) den Schädel einer Seeschildkröte der Maastrichter Kreide. Diese Arbeit verdiente deshalb besondere Beachtung, weil fossile Schildkrötenschädel in der Paläozoologie zu den grüßten Seltenheiten zählten. Weitere Veröffentlichungen beschäftigten sich allgemein mit dem Problem der Stammesgeschichte und Systematik, mit dem ältesten Insekt und dem erdgeschichtlichen Alter unserer Koleopteren-Fauna, Von all diesen entwicklungsgeschichtlichen Arbeiten möchte ich aber zum Schluß dieser Aufzählung noch eine große Veröffentlichung erwähnen, mit der sich Rüschkamp viele Jahre beschäftigt hat und die er in wissenschaftlicher Form 1927 in den "Zoologica" und in populärer Form in der Zeitschrift "Natur und Museum" (in 6 Artikeln) herausbrachte P. Rüschkamp analysierte bis in alle Einzelheiten den Flugapparat der Käfer und untersuchte die bei vielen Käfern so auffällige Rückbildung dieses Organs. Am Schluß dieser umfassenden Arbeit heißt es: "Bei Formen, die seit undenklichen Zeiten bereits flügellos geworden sind, mag schließlich die Fähigkeit zur Entwicklung eines Flugapparates - ein unnützer Erbballast - verblichen und erloschen sein. Dazu braucht es Zeit. Vor rund 30 Jahren klagte ein Beflissener der Theologie und Naturwissenschaft seinem Professor, er könne mit der landläufigen Vorstellung von 4000 Jahren seit Erschaffung der Welt nicht zurechtkommen. Gütig fragte der Schriftgelehrte über seine Brille hin: "Nun, wieviel Zeit brauchen Sie denn?" Der junge Student nannte eine für damalige Anschauungen kühne Zahl. "Können Sie haben". 

Nur selten wagte sich P. Rüschkamp auf das Gebiet der Naturphilosophie und deren Grenzfragen zur Biologie. Wenn er es einmal tat, so meistens zur Verteidigung der Teleologie in der lebendigen Natur. So besprach er ausführlich 1934 in den "Stimmen der Zeit" das geistreiche Werk des Basler Professors für theoretische Biologie und Psychologie Gustav Wolff mit dem Titel "Leben und Erkennen. Vorarbeiten zu einer biologischen Philosophie". In zwei weiteren kleineren Arbeiten wendet sich Rüschkamp gegen eine nur mechanistisch eingestellte Erbforschung ("Natur und Museum" 1931). Wir erfahren in dieser Veröffentlichung auch zum erstenmal ganz klar, wie Rüschkamp sich die Entwicklung gedacht hat: er vertritt wie die meisten Paläontologen eine gerichtete (orthogenetische) Entwicklung. Ich möchte einige Sätze aus P. Rüschkarnps Arbeit zitieren um zugleich zu zeigen welche Gedanken in den dreißiger Jahren sowohl in der Genetik wie in der Paläontologie vertreten wurden und wie sich das heutige wissenschaftliche ,,Klima" in diesen Forschungszweigen wieder grundlegend verändert hat: "Für den kurzlebigen Menschen ist die Geschichte noch stets eine zuverlässige Erkenntnisquelle der Wahrheit gewesen. Und die Geschichte der Organisrnen, ablesbar aus den untrüglichen Dokumenten versteinerter Lebewesen, umfaßt nicht nur ein paar Jahrzehnte, sondern Jahrmilliarden, Die Paläontologie bietet eine Fülle zusammenhängender (kontinuierlicher), bestimmt gerichteter Entwicklungen. Was Darwins System forderte, hat die Versteinerungskunde bewiesen. Es sei nur auf das klassische Beispiel der Entwicklung der Einzehigkeit im Stamm der Pferde hingewiesen, zugleich ein Beleg für das Deperetsche Gesetz der Größenzunahme: von Kaninchengröße bis zur stattlichen Gestalt des heutigen Pferdes. Auf der gemeinsamen Tagung der deutschen Paläontologen und Vererbungsforscher in Tübingen 1929 wurde die Tatsache fortlaufender stammesgeschichtlicher Entwicklung in eindruckerweckender Weise vertreten, und zugleich die Annahme der Vererbungsforscher: durch kleinste, unzusammenhängende, richtungslose, erbliche Veränderungen sei etwa aus einem einfachen, lichtempfänglichen Pigmentfleck im Stamme der Mollusken wie der Wirbeltiere ein kompliziertes Tintenfisch- und Menschenauge hervorgegangen, als unannehmbar abgelehnt. Diese Auffassung ist umso unmöglicher, als kleinste Mutationssprünge für den Kampf ums Dasein bedeutungslos sind und der Auslese nicht gestatten, ihren Hebel anzusetzen, wie das schon oft gegen die Weismannianer und Vererbungstheoretiker eingewandt wurde. Den Ausschlag aber müssen die historischen Dokumente fossiler Lebewesen geben, die uns eine kontinuierliche, stetige, gerichtete Entwicklung der Organismen anzunehmen zwingen. Die Geschichte kann uns nicht täuschen." Soweit also die Worte P. Rüschkamps. Heute ist sowohl bei vielen Paläontologen wie Genetikern die Orthogenese durch die Orthoselektion ersetzt und damit das ganze wissenschaftliche Klima wieder mehr "mechanistisch" geworden. So ändern sich die Zeiten - auch in den Naturwissenschaften! 

Wohl die intensivste und zoologisch bedeutungsvollste Arbeit hat P. Rüschkamp auf einem Gebiet geleistet, das heute in der Biologie immer mehr in den Hintergrund zu treten droht: die Faunistik und Systematik der Insekten, besonders der Käfer. P. Rüschkamp gründete am 20. Januar 1927 die Arbeitsgemeinschaft der rheinischen Coleopterologen und war viele Jahre ihr Vorsitzender. Durch die Versetzung nach Frank furt/M. und die Vorlesungsverpflichtungen war es ihm nicht rnehi möglich, sich der Insektenkunde in der gewohnten Weise zu widmen, was von seinen wissenschaftlichen Freunden sehr bedauert wurde. P. Rüschkamp schrieb 15 Beiträge zur rheinischen Käferfauna, die in den "Entomologischen Blättern" erschienen (der letzte 1935). Durch diese intensive Durchforschung des rheinischen Gebietes wurde die Kenntnis der rheinischen Käfer-fauna um insgesamt 557 Arten und 666 Abarten vermehrt. Ein bleibendes Dokument des Forscherfleißes schuf aber P. Rüschkamp in der von ihm begründeten Landessammlung rheinischer Coleopteren, die seit 1932 im Museum König in Bonn untergebracht ist. Diese Sammlung umfaßt 3.683 Arten, tausende von Abarten in 71.656 Belegstücken. Nur wer selbst einmal Insekten gesammelt und bestimmt hat, weiß, welche gewaltige Arbeit hinter diesen Zahlen steckt. 

Mit der Versetzung P. Rüschkamps an die Philosophisch-Theologische Hochschule in Frankfurt/M. und seiner Mitarbeit am Senkenbergischen Museum tritt ein neuer Abschnitt im wissenschaftlichen Interesse auf: P. Rüschkamp wendet sich der Paläanthropologie zu. Um das Jahr 1930 herum lenkte die Entdeckung des Pekingmenschen (Sinanthropus Pekinensis Black) die Aufmerksamkeit der ganzen gebildeten Welt auf sich. Im Aprilheft der "Stimmen der Zeit" (1932) gibt P. Rüschkamp den ersten ausführlichen Bericht über diese aufsehenerregende Entdeckung. In der Deutung des Fundes schließt P. Rüschkamp sich an Weidenreich an, der 1931 sagte: "Es besteht kein Zweifel, daß Sinanthropus und mit ihm Pithecanthropus die morphologischen Entwicklungsreihe der Menschenform vom Primigenius (Neandertaler) aus in gerader Linie weiter nach unten führt" 

Die Vorstellung von der Entwicklung der Menschheit, die hier zum Ausdruck kommt, ist die klassisch gewordene Dreistufen-Hypothese: Auf den Pithecanthropusformen sollten direkt die Neandertalformen und auf diesen die heutige Menschheit aufbauen. Inzwischen ist durch zahlreiche neue Funde das Bild der Menschheitsentfaltung wesentlich anders geworden, obwohl eine Anzahl älterer Forscher immer noch an den liebgewordenen alten Vorstellungen der Dreistufenhypothese festhält. P. Rüschkamp fand nicht mehr die Kraft, sich dem neuen Bild anzupassen und die neuen Funde richtig zu bewerten. Als ich ihn 1952 - ich war damals im Tertiat in Münster - zu einem Vortrag vor der katholischen Studentengemeinde einlud, stellte er in seinem Referat die alte klassische, inzwischen aber aufgegebene Theorie der Menschheitsentfaltung dar. Von den umfangreichen Funden in Südafrika (den Australopithecinen) nahm er keine Notiz. Auch in der anschließenden Diskussion zeigte er sich mit den neuen Funden nicht mehr vertraut, so daß der Vortragsabend nicht mehr zufriedenstellend war. 

Am Schluß der oben zitierten Arbeit über Sinanthropus fragt P. Rüschkamp, wie diese Frühmenschen wohl ausgesehen haben mögen. Er antwortet: "Weinert schrieb 1930 darüber ein dankeswertes Wort: "Für das Aussehen vergangener Menschenformen haben wir gar keinen Anhalt ..." Man verschone uns darum mit Rekonstruktionen, die unsere Vorfahren als Halbidioten darstellen. Der Mensch, der die Eiszeit meisterte und im Kampf mit ungleich stärkeren Tieren sich behauptete, ist wahrhaft kein Idiot gewesen." In den folgenden Jahren bis in den zweiten Weltkrieg hinein hat P. Rüschkamp in zahlreichen Artikeln vor allem den Lesern der "Stimmen der Zeit" über den Fortgang der anthropologischen Forschungen berichtet. Erwähnung verdient noch die größere Arbeit "Zur Art- und Rassengeschichte des Menschen", die 1947 zuerst in den "Stimmen der Zeit" erschien und auch als kleines Buch veröffentlicht wurde. Die grundlegenden Auffassungen haben sich in dieser Veröffentlichung nicht geändert. Man muß hierzu bedenken, daß Deutschland seit 1939 von der übrigen Welt abgeschnitten war und selbst in sich neutrale wissenschaftliche Nachrichten sehr spärlich nach Deutschland durchdrangen. 

Überblicken wir das wissenschaftliche Lebenswerk von P. Rüschkamp, so müssen wir feststellen, daß es sich ebenbürtig in die große Reihe der Biologen des Jesuitenordens einfügt. In dieser imposanten Reihe ist das Werk P. Rüschkamps an einer hervorragenden Stelle. 
- Soweit P. Haas. 
 


IV. Sein Ringen um die Abstammungsfrage

Im Herbst 1939 ereilte ihn dann sein Geschick, wie wir es nennen wollen. Es wäre nicht notwendig gewesen, auch nicht bei den Ideen, die P. Rüschkamp vertrat. Bei den vielen Arbeiten P. Wasmanns kann man bewundernd feststellen, mit welcher Geschicklichkeit und Klugheit er beurteilte, wo, wie und wann man manches sagen konnte, und mit welcher Weisheit er die Zeitschriften auswählte, in denen er bestimmte Ergebnisse seiner Forschungen veröffentlichte. Ich glaube, es ist das Einfachste, die ganze Angelegenheit mit einem Brief vom 17. 7. 1939 darzulegen den P. Rüschkamp an einen befreundeten Professor und Fachkollegen sandte. Es ist ein schönes, wenn auch herbes Zeugnis für vieles, das durch seine Seele ging. 

"Sehr geehrter Herr Professor! Im Frühjahr baten Sie mich, Ihr Buch für die "Stimmen der Zeit" und für die "Kölnische Volkszeitung" zu besprechen, was ich gerne zusagte. Von beiden Seiten bekam ich auch das Buch zugestellt. Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig, warum die Besprechungen nicht schon längst erfolgten, aber ich bitte, diese Mitteilung als vertraulich zu betrachten. 

Kurz nachdem mein Artikel im Märzheft der Stimmen erschienen war, wurde mir von meinem Oberen mitgeteilt: meine Tätigkeit in Frankfurt/M. an der Philos. Theologischen Hochschule sei beendet; eine passende anderweitige Verwendung im In- oder Ausland wird gesucht. Außerdem, und das war mir das Argste, wurde mir verboten, weiter über diese Frage der menschlichen Abstammung zu schreiben. Ich habe selbstverständlich nichts unversucht gelassen, wenigstens das Schweigegebot rückgängig zu machen. Darüber ist die gesetzlich vorgeschriebene Frist zur Besprechung Ihres schönen Buches verstrichen. Ich mache Ihnen nun folgenden Vorschlag: 

Was ich bisher als strengstes Familiengeheimnis bewahrte, bitte ich auch Sie geheimzuhalten, weil sonst ein größerer Schaden entstehen könnte, als meine privaten Belange aufwiegen. Zu meinem Artikel habe ich weit über 100 Zuschriften erhalten, nicht nur von kompetenten Naturwissenschaftlern, sondern erfreulicherweise auch von Universitäts-Professoren der Theologie und Ordenslektoren theologischer Fächer, die z. T. begeistert zustimmten und versprachen, auch in ihren theologischen Werken die Frage endlich in naturwissenschaftlichem Sinne zu liquidieren. Die Saat wird also aufgehen auch wenn der Sämann lahmgelegt wurde. 

Es hat aber den Anschein, daß nicht diese Frage an sich der Grund zu den getroffenen Maßnahmen war, sondern Besorgnisse wegen weiterer Folgerungen und Fragen, über die ich mit meiner Meinung nicht zurückhielt, die aber nach Ansicht meiner Gegner das depositum fidei gefährden. Wo dieses bedroht wird, ist allerdings stets größte Wachsamkeit und unnachgiebige Strenge am Platze. Ob aber jene weiteren Folgerungen wirklich das Glaubensgut antasten oder nur beiläufige, irrig dazu gerechnete Fragen, wird die Zukunft lehren. 

Mit freundlichen Grüßen ergebenst" 
Der Brief ist würdig und charaktervoll, in der Kunst mag es heißen: "können wir nicht dichten, so wollen wir doch richten." In der Naturwissenschaft gilt das nicht. Wer nicht in saurer Feldarbeit rnitforschen kann oder will, soll den Schnabel halten, seine Kritik wird nicht ernst genommen. Wie P. Wasmann, hatte P. Rüschkamp versucht, ehrliche Forscherarbeit zu leisten und wurde ernst genommen - um so schmerzlicher war der Rückschlag. Die Antwort auf den oben angeführten Brief begann: "Soeben las ich Ihre mich tief erschütternden Zeilen! Ich hatte frohlockt ob der Klugheit des Jesuitenordens; war ich doch der Ansicht, daß Ihr Aufsatz vor der Drucklegung die Zensur-Instanz passiert haben mußte." Das wird auch zweifelsohne der Fall gewesen sein. Es steht uns nicht zu, an der Lauterkeit weder der kirchlichen Behörden noch der Zensoren noch P. Rüschkamps Zweifel zu hegen. Aber der Betreffende hat unter der Entscheidung schwer getragen, das ist verständlich. Es war die Hochblüte der Nazizeit; er wäre mit Jubel im braunen Lager empfangen worden. Er dachte nicht daran. Wohl fühlte er sich bisweilen als Martyrer, wenn auch keiner Glaubenswahrheit, so doch seiner Uberzeugung und verglich sich wohl mit dem Verfasser der Cautio criminalis". So ganz unrecht hat er nicht gehabt. Es sind seitdem noch keine 25 Jahre vergangen, und manches hat sich geändert. 
 


V. im Trutz 55 

Er hatte nun noch 18 Jahre seines Lebens zu ertragen. Leider kann ich über diese Jahre nur wenig sagen, denn fast alle, die reden konnten, haben trotz mehrmaliger Bitte geschwiegen. Das ist ja auch eine Antwort, aber keine gute. Drei Gründe kann man dafür ausdenken: die bei uns so häufige Überarbeitung, eine persönliche Mißstimmung und eine grundsätzliche Ablehnung dieser Nachrufe. Die beiden ersten können gelten, eben physische bzw. moralische Unmoglichkeit, aber der dritte ist ungültig, denn er verstößt gegen den Geist der Gesellschaft. Menologien, Briefe, Berichte aus Missions- und Heimatarbeit, Nachrichten aus der Provinz, Memorabilien, Mitteilungen und Ähnliches gehören zu den Mitteln der conservatio Societatis und sind seit den Tagen des hl. Ignatius, der großen Wert darauf legte, in Brauch. Daß diese Elaborate bisweilen trocken, langstielig und wenig bedeutungsvoll sind, ist unsere eigene Schuld. Wenn sie gut sind, finden sie auch Beifall. Ich erinnere mich, daß, als vor Jahren ein von P. Pribilla verfaßter Nachruf bei Tisch vorgelesen worden war, die gesamte Kommunität, P. Provinzial an der Spitze, dem Verfasser mit einem gemeinsamen Gruß dankten. 

Daß P. Rüschkamp vieles nicht leicht und auch anderen manches nicht leicht geworden ist, muß als verständlich gelten, aber sein Humor, nach Maria Ward die größte Gabe Gottes nach der Gnade, bat sich nicht unterkriegen lassen. Er hat seinen Ministerposten im Trutz, zu dem er sich selbst meldete, ernst genommen, nachdem er die Kriegsjahre im Waisenhaus der Schwestern in Oberursel zugebracht hatte. Sein größtes Werk als Minister war der Wiederaufbau der Kirche und des Wohnhauses im Trutz. Mit dem ursprünglichen Architekten des Hauses: Herrn Koch aus Oberursel führte er den Aufbau energisch durch. Das Haus bekam eine ganze Reihe neuer Zimmer, so daß viele, vor allem junge Patres, die an der Universität studierten, Aufnahme finden konnten. Schon nach einem Jahr konnten Haus und Kirche in Gebrauch genommen werden. 

Die Berichte über seine ministerielle Amtsführung lassen sein Bild schwanken. Er scheint ab und zu weniger Herr der Lage gewesen zu sein, so z. B. als er mit gewissen Schwestern nicht zurechtkam und eine neue Oberin forderte, die Generaloberin die Schwestern einfach zurückzog, oder wenn er vertrauensselig einem Angestellten soviel Freiheit gestattete und dieser sich selbst einen Scheck auf Mk. 2000,- ausstellte. In beiden Fällen mußte er tief in den Beutel greifen - was er nicht gerne tat. Denn das Haus war natürlich für sein Prokuratorenherz arm, und wenn man auch nur eine Nacht im Hause zubrachte, mußte man wenigstens im Interesse des Hauses eine hl. Messe übernehmen. Seiner eigenen etwas großzügigen Lebensführung entsprach es, wenn jeder bekam, was ihm zustand. Schon als Scholastiker hatte er manche Strophe gesungen mit dem Kehrreim: "Denn was der Mensch braucht, das muß er haben." 

Er war gerecht, ab und zu merkwürdigerweise etwas eng und kleinlich, für die Kasse des Hauses besorgt, auf Ordnung haltend und die Regel betonend. So gab es denn auch wohl Zusammenstöße. Als er im Zorn einmal einem Pater drohte, ihn aus der Gesellschaft hinauswerfen zu lassen, erhielt er prompt die Antwort: "Dann gehen Sie aber mit!" und war dann äußerst erstaunt, als ihm die Gründe aufgezählt wurden, weshalb er dann auch nicht zu dulden wäre. Er war etwas Grandseigneur, und dann ist es nicht ganz leicht, Dinge sachlich abzuwägen. So hat man sich oft wegen seiner geraden, aber nicht ganz ausgeglichenen Art geärgert; aber heute trauern ihm alle im Trutz nach, sie würden ihn als Hausminister wieder nehmen. Die Kommunität war unter ihm ein Herz und eine Seele, und er selbst äußerst gemütlich. Er verstand es, Feste zu feiern und sie durch Weinkultur und Mutterwitz zu beleben, jovial und hausväterlich. Zu alldem paßte seine Korpulenz. Obwohl er zeitweise morgens und abends kaum etwas aß, wurde er gewichtiger und behäbiger. Aber wenn gar kein Fortschritt sichtbar wird, macht die Abtötung bekanntlich keinen Spaß, und so aß und trank er später auch das, was die Ärzte ihm verboten hatten. Axiome betäubten das Gewissen z.B. "Wer das Chromosömchen hat, dem hilft auch das Fasten nicht". Oder: "Langsamer Selbstmord ist keine Sünde". Die Anekdoten über sein Schwergewicht, das nie berechnet wurde, sind endlos. Unvergeßlich bleibt eine Hausvisite, bei der der hochw. P. Provinzial - dessen Name ich nicht nennen darf, da er wieder dieses Amt bekleidet - und P. Rüschkamp auf dem historischen Sofa saßen, war es der Last des Wissens und Gewichtes der beiden Cosmologie-Professoren nicht gewachsen und brach stohnend zusammen. Dieses Sofa spielte überhaupt eine große Rolle in der Erholung. Die eine Ecke war der Stammsitz des sanft schlummernden Ministers, der aber auch mit geschlossenen Augen jeden ungerechtfertigten Angriff auf die Zigarrenkiste erspürte. Zu diesem Reichtum des willigen Fleisches gesellten sich langsam die entsprechenden Krankheiten des Herzens und des Kreislaufes, Stürze von der Treppe und andere Stürze bewirkten verschiedene Leibschäden und ließen ihn unter den Beschwerden des Alters leiden. Pietätvoll führte der Katalog von St. Georgen ihn als Professor weiter auf und Vorträge, Artikel und sein Schriftchen "Die Artgeschichten des Menschen" ließen seine alte Liebe zur Biologie nicht rosten. Erholung fand er jedes Jahr bei seiner Schwester, die als Ordensfrau in Viersen lebte. Sie hat ihn gut verstanden und getröstet und ihm über die schwersten Zeiten hinweggeholfen, Am Herz-Jesu-Fest am 28. Juni 1957, las er die letzte hl. Messe. Er fühlte sich sehr schlecht, nachdem er die Monatsabrechnung bis spät abends vollendet hatte. Man fand ihn gegen 23 Uhr bewußtlos. Pater Bäcker spendete ihm die heilige Ölung und den päpstlichen Segen. Der Arzt verordnete seine Überführung in das St. Elisabethenkrankenhaus in Frankfurt/M.-Bockenheim Er scherzte noch mit den Trägern: "Hebt euch keinen Bruch an mir", Am 29. Juni war er in bester Stimmung, und der Arzt sehr zuversichtlich. Da man ihm gar zu wenig zu trinken reichte, scherzte er über "die brutale Behandlung". So zog sich die Krankheit noch einige Tage hin, bis dann langsam eine Funktion nach der anderen erlosch. Es setzte eine Urämie ein, er begann zu phantasieren und starb dann, Tag und Nacht von seinen Mitbrüdern betreut, am 3, Juli 1957. 

Am Samstagmorgen, dem 6. Juli, zelebrierte der Generalvikar von Limburg: Dr. Höhle, sein ehemaliger Schüler, das feierliche Totenamt in St.Georgen. Danach erfolgte die Beisetzung auf dem Südfriedhof in Frankfurt/M. Sein Begräbnis war ein öffentliches Bekenntnis zu dem ehemaligen Professor. Nun waren alle die kleinen oder auch großen Zwischenfälle vergessen. Der Mann, der soviel über den Menschen nachgedacht und geschrieben hatte, der so vielen Menschen als Mitbruder, Freund und Helfer etwas gewesen war - stand vor seinem Gott. Das Suchen und Irren in Rätseln und Fehlern - unser Menschenschicksal - war zu Ende, zu Ende um ewigem Lichte zu weichen.

R. i. p. 
BÖNNER, W. (1961?): P. Felix Rüschkamp, gestorben am 3. Juli 1957 in Frankfurt/Main. - Mitteilungen aus den deutschen Provinzen der Gesellschaft Jesu (Köln) 1961?, 235-248 als Manuskript gedruckt.
[Interne Mitteilungen des Ordens, in Kopie übermittelt von Markus Pillat, cur. ag. Arch. Prov. Germ. Sept. SJ, Köln an das Archiv der Arb.gem. Rhein. Koleopterologen am 6.09.2000.]

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