Alfons Evers - Ehrenpromotion
AUS MITGLIEDERKREISEN
EHRENPROMOTION VON HERRN DR. ALFONS EVERS 
am 16. Februar 1994, Philipps-Universität in Marburg

Laudatio von Herrn Prof. Dr. Reinhard Remane

Verehrte Festversammlung! 

Es ist zwar Aschermittwoch - die Zeit der Büttenreden ist vorbei - aber das ist keineswegs ein Grund, nun hier Trübsal zu blasen: im Gegenteil, wir sind hier aus einem äußerst erfreulichen Grunde zusammengekommen: Der Fachbereich Biologie hat beschlossen, Herrn Alfons Evers für seine sich bereits über mehr als 50 Jahre erstreckenden wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Zoologie die Ehrendoktorwürde zu verleihen. 

Herr Evers gehört zu einer heute leider selten gewordenen Gruppe von Menschen - er führt seine biologischen Studien aus Passion durch, ohne ein "regetrechtes" Studium an einer Universität absolviert zu haben, und ohne daß es sein eigentlicher Beruf wäre. Umso bewundernswerter ist das Ausmaß seiner Leistungen auf zahlreichen Gebieten, von denen nur einige hier vorgestellt werden können. 

Geboren 1918 in den Niederlanden, verhinderte der 2. Weltkrieg eine ordnungsgemäße Durchführung eines Biologie-Studiums in Holland, obwohl er bereits als Schüler erste Artikel mit zoologischer Thematik in niederländischen Fachzeitschriften publizierte. 

Während des Krieges nach Deutschland gegangen und im naturwissenschaftlichen Verlag und Antiquariat Goecke in Krefeld untergekommen, dessen Leiter selber ein Fachmann für Käferkunde war, begann er sich in die Artenfülle einer bis dahin wenig bekannten Käfergruppe - die weltweit derzeit rund 5000 Arten enthaltenden Malachiidae - einzuarbeiten. Diese Untersuchungen, die ihn schon seit längerem zum weltweit anerkannten Fachmann dieser Tiergruppe werden ließen, beschäftigen sich mit einigen der grundlegenden Fragen der Evolution und damit der Biologie: 

Da ist zum ersten die Frage, wieviele nicht mehr im genetischen Austausch miteinander stehende Einheiten, d.h. Individuen-Gruppen in einer solchen Tiergruppe existieren. In der Zoologie nennen wir derartige Einheiten "biologische Arten" (der Fachausdruck dafür ist Biospezies), falls ein solcher "Genfluß" zwar von den äußeren Gegebenheiten möglich scheint, aber dennoch nicht mehr zustande kommt: die Erforschung der Gründe dafür ist ein ausgedehntes Arbeitsfeld, das vieLe Teilbereiche biologischer Forschung umfaßt, genannt seien hier zum Beispiel Genetik, Ethologie und Ökologie. Aber auch die Kenntnis darüber, wieviele derartige 'Biospezies" oder, als notwendige Vorstufe dazu, an der Ausprägung bestimmter Merkmale unterscheidbare "diskrete" Einheiten (sogenannte 'Morphospezies") es gibt, ist rur viele Forschungsgebiete unverzichtbare Grundlage: mit der Aufteilung einer "Stammart" im Laufe der Evolution in Tochterarten wird ja aufgrund des zwischen den Tochterarten nicht mehr funktionierenden Austauschs von genetischer Information der Weg frei für unterschiedliche Weiterentwicklung der Tochterarten als Folge von Erbgutsveränderungen in der Generationenfolge. Hier liegt demzufolge die Basis für die Entstehung der Formenvielfalt des Lebendigen. 
 
Herr Evers hat auf diesem Arbeitsgebiet der Erforschung des Artenbestandes der von ihm untersuchten Käferfamilien Außerordentliches geleistet: In zahlreichen Veröffentlichungen in deutschen und ausländischen Fachzeitschriften beschrieb er bis zum Sommer letzen Jahres aus den verschiedensten Gebieten der Erde nicht weniger als 187 bisher unbekannt gewesene Arten - inzwischen dürften es nach dem Erscheinen weiterer Publikationen schon wieder etliche mehr sein! 

Bei der Beschäftigung mit einer derart hohen Zahl von im Laufe der vergangenen Jahrmillionen entstandenen Arten einer solchen Gruppe ergeben sich natürlich über die reine Bestandsaufnahme und die Unterschcidbarkeit der Arten hinaus viele weitere Fragen: 

Eine davon ist die nach der evolutiv entstandenen Vielfalt in Bau und Funktion der diversen Organe dieser Tiere, die oft nur durch Erforschung der Verschiedenheiten in der Lebensweise und dem Verhalten zwischen den einzelnen Arten verstanden werden können. In manchen dieser Organsysteme und Verhaltensweisen erwiesen sich gerade die zu den Malachiidae vereinten Käferarten als ausgesprochen vielseitig: Erwähnt sei hier stellvertretend für andere das Paarungsverhalten. 

Bei vielen Arten findet sich noch eine als ursprünglich bzw. "altertümlich" zu wertende Verhaltensweise, bei der das Männchen versucht, sich auf einem Weibchen, das er für eine Artgenossin hält, nach Besteigen festzuklammern - es besitzt zu diesem Zweck an den Vorderfüflen einen meist artspezifisch gebauten Klammerapparat. 

Herr Evers entdeckte nun aber, daß mehrfach unabhängig in der Evolution dieser Käfergruppe dieses Paarungsverhalten aufgegeben wurde: die Männchen entwickelten stattdessen auf ihrer Haut Drüsenbezirke, die ein Sekret produzieren, das sie den Weibchen zum Auflecken anbieten, um sie offenbar damit paarungsbereit zu stimmen - diese Käfer haben offenbar schon vor langer Zeit ihre Aphrodisiaka erfunden! Diese deshalb "Excitatoren" genannten Drüsenbezirke sitzen je nach Art oder Artgruppe an verschiedenen Stellen des männlichen Körpers: an der Spitze der Vordertlügel ebenso wie an bestimmten Segmenten des Hinterleibes, im Stirnbereich des Kopfes, an bestimmten Gliedern der Fühler, sogar an den Beinen. Diese Excitatoren und deren Umgebung sind oft mit Gruben, bizarren Fortsätzen und anderen Strukturen versehen, die meist artspezifische Form und Anordnung haben. Weder die physiologische Wirkung der aufgenommenen Excitatoren-Sekrete bei den Weibchen scheint bisher mit neuzeitlichen Methoden untersucht worden zu sein noch die Frage, ob die chemische Zusammensetzung dieser Sekreie artspezifisch und von Art zu Art verschieden ist und damit den Weibchen ein Unterscheiden von arteigenen und artfremden Männchen ermöglicht: hier scheint noch einiger Forschungsbedarf zu bestehen, für den die insbesondere von Herrn Evers entdeckten Strukturen und Verhaltensweisen die notwendige Ausgangsbasis liefern. Eines steht jetzt schon fest: die Evolution hat hier statt des ursprünglich schnellen, deshalb nur wenig störanralligen Paarungsverhattens komplizierte, langandauernde und deshalb zweifellos störanralligere Balzrituale hervorgebracht, die zweifellos "unökonomischer" sind als die vorherigen - eine in ihrer theoretischen Bedeutung noch zu diskutierende Situation. Für nur wenige Arten ist der genaue Ablauf dieser Balzrituale bereits bekannt und dokumentiert - bei den meisten steht eine derartige Untersuchung noch aus. 

Eine weitere Frage von allgemeinerem Interesse ist die ökologische Einnischung der Arten einer Verwandtschaftsgruppe - vor allem dann, wenn mehrere Arten derselben Gruppe in demselben Gebiet leben und sich daher gegenseitig bei zu geringer Verschiedenheit ihrer Ansprüche Konkurrenz machen könnten. Auch auf diesem Gebiet hat Herr Evers durch zahlreiche eigene Untersuchungen im Freiland wertvolle Beiträge geliefert. 

Besonders reizvoll erscheint für einen sich mit Evolutionsvorgängen beschäftigenden Biologen die Frage, auf welchem Weg es eigentlich zur Aufspaltung der Populationen einer Stammart in zwei oder mehr Tochterarten kommen kann: ist diese Aufspaltung das mehr oder weniger zufällige Resultat einer so weitgehenden räumlichen Abtrennung von Populationen, daß kein Individuenaustausch (und damit kein Genfluß) zwischen ihnen mehr stattfinden kann? Oder kann eine solche Aufspaltung auch durch Aufgabe des Genflusses zwischen am gleichen Ort lebenden Populationen erfolgen, um unterschiedliche Anpassungen an unterschiedliche ökologische Situationen "erwerben" zu können? Zur Untersuchung dieser Fragen sucht man sich als Bearbeiter sinnvollerweise kleinere, gut abgrenzbare Gebiete mit einem möglichst hohen Artenbestand aus: Für die Malachiiden und Herrn Evers war das nächstgelegene derartige Gebiet das der Kanarischen Inseln. Sie wurden im Laufe der Jahre - als ozeanisch-vulkanisch entstandene, aber geohistorisch relativ alte, ökologisch sehr vielseitige Inselgruppe - zu einem der Haupt-Untersuchungsgebiete von Herrn Evers: die Mehrzahl der inzwischen von den Kanaren bekannten Malachiiden-Ayten wurde von ihm entdeckt und beschrieben. Da er die Verallgemeinerungsfähigkeit seiner Befunde hinsichtlich Artbildungsweise und Besiedlungsgeschichte der Malachiiden auf den Kanaren und anderen ostmittelatlantischen Inselgruppen (Selvagens, Madeira, Azoren) durch Untersuchungen an anderen Tier- und Pflanzengruppen überprüfen und auch die geologische Geschichte dieser Inseln möglichst genau kennen wollte, initiierte er Mitte der sechziger Jahre die Bildung einer internationalen Arbeitsgruppe aus Geologen, Botanikern und Zoologen: das 'Internationale Forschungsprojekt Makaronesischer Raum", zu dem auch ich seit 1965 gehörte. In vielen Jahren intensiver Zusammenarbeit bei Freilanduntersuchungen, Diskussionstreifs und Vortragstagungen wurde eine neue Phase der Untersuchung nicht nur dieser Inseigruppen, sondern auch der als Ausgangsgebiete für die Besiedelung dieser Inseln in Frage kommenden Festlandsgebiete (Iberische Halbinsel, Nordwestafrika) durchgeführt. Zahlreiche Publikationen spezieller und auch allgemeiner Thematik entstanden und entstehen noch immer als Resultate dieser Aktivitäten, die mehrfach durch Beihilfen der DFG oder der Thyssen-Stiftung unterstützt wurden. Sie vermitteln nunmehr ein wesentlich deutlicheres Bild von dem Ausmaß der Artbildung vieler Tiergruppen auf diesen Inseln, aber auch von deren Beziehungen zu den benachbarten Festlandsgebieten. Ohne die anspornen-den Aktivitäten von Herrn Evers wären diese Ergebnisse wohL nicht erreicht worden, da die Untersuchungen quasi in einem Wettlauf mit der weiträumigen Zerstörung vieler noch halbwegs naturnaher Gebiete durch Tourismus, Entwässerung und 'moderne" Landwirtschaftsmethoden erfolgten und noch erfolgen: viele der von unserer Gruppe noch untersuchten Lebensräume existieren inzwischen leider nicht mehr, die sie besiedelnden Pflanzen- und Tierarten sind zumindest dort vernichtet. 

Nicht zuletzt interessiert einen Evolutionsbiologen der historische Aspekt der vorgefundenen Artenschwärme: wie weit ist der Ablauf ihrer Entstehung, sind ihre gegenseitigen Verwandtschaftsbeziehungen rekonstruierbar? Nur selten existiert bei Gruppen derartig kleinwüchsiger Arten eine nennenswerte Dokumentation durch Fossilien - meist bleibt nur die Methode der wertenden Merkmalsanalyse bei den derzeit noch lebenden Arten. Auch auf diesem Gebiet hat Herr Evers die einzigen bei den Malachiiden existierenden methodengerechten Versuche unternommen: in mehreren Veröffentlichungen diskutiert er die möglichen Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb der einzelnen Gruppen der Malachiiden und zu angrenzenden Gruppen: Alte Gruppierungen werden, weil nicht den Verwandtschaftsverhältnissen entsprechend, aufgelöst, neue Gattungen werden dafür errichtet. 

Wie schon diese wenigen ausgewählten Beispiele zeigen, hat Herr Evers nicht nur eine breit gefächerte, beispielhafte biologische Forschung an den von ihm ausgewählten Tier-gruppen durchgeführt, sondern wesentliche Beiträge zum Forschungsfortschritt in anderen Bereichen geliefert. Seine Resultate konnten die Basis für zahlreiche weitere Untersuchungen bilden, die teilweise nur in dafür adäquat ausgerüsteten Forschungsinstituten durchführbar wären. 

Bisher war ausschließlich von den eigenen Forschungen von Herrn Evers und ihren hervorragenden Resultaten die Rede: nicht unerwähnt aber dürfen seine "berufsnäheren" Aktivitäten bleiben - haben doch gerade sie in erheblichem Maße zur Verbreitung biologischen und zoologischen Wissens beigetragen. 

Da wäre zum einen die von ihm seit 50 Jahren redigierte (und seit rund 90 Jahren bestehende), in seinem Verlag erscheinende Fachzeitschrift der "Entomologischen Blätter" zu nennen, die besonders der Publikation von Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der Käferkunde dient. 

Wesentlicher scheint mir und anderen dagegen ein von ihm initiiertes und verlegtes, inzwischen bereits zwanzigbändiges Werk "Die Käfer Mitteleuropas". das erstmalig nicht nur Bestimmungstabellen, Abbildungen und Beschreibungen der adulten Käfer aller im Gebiet lebender Arten durch die für die einzelnen Gruppen vorhandenen Fachbearbeiter bringt, sondern in Parallelreihen auch alle anderen als vererbbar anzunehmenden Merkmale, wie die Ökologie, Ethologie sowie die Jugendstadien der Käfer behandelt. Dieses Werk ist dadurch bereits jetzt ein unverzichtbares Standardwerk für alle, die sich mit dieser Tiergruppe beschäftigen, sei es im Naturschutz, bei ökologischen, ethologischen oder biogeographischen Untersuchungen. 

Aber auch das grundlegende Werk der "Analogien-Biologie", das mehrbändige Werk von H.W. Koepcke "Die Lebensformen" wurde von ihm verlegt - hinzu kommen ausgezeichnet ausgestattete, umfangreiche Monographien anderer Insektengruppen, zum Beispiel über Netzflügler, über die Raphidioptera der Welt und anderes mehr. 

Dieser kleine Ausschnitt aus den wissenschaftlichen Aktivitäten von Herrn Evers mag hier genügen - es ist mir daher eine große Freude, Herrn Evers auf das herzlichste zur längst überfälligen Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen durch die Verleihung der Ehrendoktorwürde zu beglückwünschen und ihm noch viele weitere Jahre erfolgreiches und ihm Freude bringendes wissenschaftliches und verlegerisches Wirken zu wünschen! 

*******************

Der Vorstand der DGaaE gratuliert Herrn Dr. h.c. Alfons M.J. Evers herzlich zu dieser hohen, wohlverdienten Ehrung durch die Universität Marburg. Es sei hier daran erinnert, daß Herrn Dr. A.M.J. Evers 1985 die "Fabritius-Medaille" in Anbetracht seiner großen Verdienste um die Entomologie verliehen wurde (Laudatio: Mitt. DGaaE 7: 1-5, 1989). Weiterhin hat er die "Meigen-Medaille" ins Leben gerufen, erstmalig verliehen während der Entomologentagung 1993 in Jena. Nicht zuletzt sei an seine Bemühungen erinnert, zusammen mit der DGaaE ein "Biosystematisches Institut" ins Leben zu rufen, worüber in den DGaaE-Nachr. wiederholt berichtet wurde. 

D.G.a.a.E. Nachrichten (Dossenheim) 8, 45-49.

[zurück]