Erinnerungen an Klaus Koch
Wie es mit den Käfern begann und Klaus Koch mir zum Vorbild wurde

Frank Köhler

Gelbbauchunken, eine Knoblauchskröte, ja alle heimischen Amphibienarten bis auf den Laubfrosch, den ich nie finden konnte, hielt ich auf dem großen Balkon meiner elterlichen Wohnung in Köln-Worringen. Daneben natürlich eine Ringelnatter und eine zweischwänzige Zauneidechse sowie eine Europäische Sumpfschildkröte, die ich rotlackiert an einem Tümpel in Rheinnähe gefunden hatte. Von Arten- und Naturschutz war Mitte der siebziger Jahre noch nicht die Rede als unser Biologielehrer uns zur Kaulquappenjagd ausschickte, die letztlich den Beginn meiner Koleopterologenbiographie markierte. Eine Jugendfreundin, mit der ich später regelmäßig in die Rheinauen und den Kölner Königsforst Exkursionen durchführte, besaß einen kleinen Karton mit Käfern, den ich ihr zu füllen half. Der erste Käfer, den ich bewußt fing, dürfte ein Abax parallelepipedus gewesen sein. 

Schon bald war ich nicht mehr bereit, meine Fänge abzuliefern. In kleinen Quartettschachteln wurden die Käfer mit doppelseitigem Klebeband fixiert, natürlich Bock-, Scheinbock- und Weichkäfer in einer Dose. Zu jeder Schachtel gab es eine Skizze, auf der die Käfer nummeriert waren, hierzu wiederum eine Liste mit den Käfernamen. Bestimmungsquote maximal zwei Prozent. Ursache allen Übels war Bechynes "Welcher Käfer ist das?", den ich mir aus der Schulbücherei als Dauerleihgabe mitgenommen hatte - wer interessiert sich schon für Käfer! Im Büchlein wurden die Schwarz-Weiß-Zeichnungen entsprechend eingefärbt, wenn ich eine der abgebildeten Arten gefunden hatte. Leider entstanden keine Farbtafeln, da ich nur wenige der abgebildeten Bock- und Prachtkäfer im Kölner Umland finden konnte. Derart entmutigt plätscherte die Käferei viele Jahre vor sich hin. Einziger Lichtblick war der hilfreiche Hinweis meiner Großmutter, daß es so etwas wie Insektenkästen und -nadeln gibt, die sie mir dann auch zum Geburtstag schenkte. 

Es war im Juli 1982 als das Jagdfieber unvermittelt wieder hervorbrach. Im kleinen Käfertagebüchlein wurden unter dem Stichwort "Urlaub mit Robert in Oberflossing bei Mühldorf a. Inn" besondere Käfer vermerkt, darunter so aufregende Dinge wie "Leptura? blutrote Flügeldecken", "Rothalsaaskäfer", "Minzenblattkäfer", "zylindrischer Bockkäfer", "Aromia moschata" und "lila Julikäfer". Der endgültige Durchbruch gelang bei einem Österreichabstecher am 21. Juli am Radstädter Tauernpaß auf einer Waldwiese oberhalb von Untertauern. Auf blühenden Sumpfkratzdisteln saßen all die Böcke und Rosenkäfer, die ich immer vergeblich gesucht hatte. Innerhalb weniger Minuten quollen meine Hände vor Käfern über, darunter so schöne Arten wie Pachyta quadrimaculata, Gaurotes virginea, Leptura dubia und virens. Während ich anschließend zum Wagen und den vergessenen Döschen eilte, stolperte ich noch über eine Reihe "Riesenrüssler", die sich später als Liparus glabrirostris entpuppten. 

In der Folgezeit ging es stetig bergauf. 1983 wurde intensiv gesammelt und "Freude-Harde-Lohse" sowie der "bebilderte und entleihbare Reitter" in der Universitätsbibliothek Köln entdeckt. Am 8. November fand ich im Knechtstedener Busch bei Pulheim-Stommelerbusch in einem Lasius brunneus-Nest sieben Exemplare von Claviger longicornis, die ich als sehr selten erkannte. Der nun entstandene Mitteilungsdrang führte mich telefonisch von Hans-Jürgen Hoffmann aus dem Zoologischen Institut in Köln über Wolfgang Kolbe zu Klaus Koch, den ich kurze Zeit später zum ersten Mal besuchen durfte. 

Bei ihm angekommen ging es direkt ins Käferzimmer ans Binokular. Er schob meine Ameisenkäfer durch und bestätigte meine Bestimmung von Claviger und Scydmaenus perrisi. Einige andere Tiere determinierte er ohne einen Blick in die Bücher - einfach beeindruckend. Die häufigen Arten gab er mir unbestimmt mit zurück, damit ich es erst einmal weiter selber versuchen solle. Später legte ich ihm daher nur noch vorbestimmte oder besonders schwierige Tiere vor. 

Dann ging es an seine Sammlung. "Meine Güte, was für ein blutiger Anfänger" muß Klaus gedacht haben, als ich meine Verwunderung äußerte, daß es von Abax mehr als eine Art gebe und ich nie Acrotrichis finden würde. Aber er sagte nichts, schenkte mir zum Abschied das letzte Exemplar seiner "Käferfauna der Rheinprovinz" und lud mich zur nächsten Exkursion der Arbeitsgemeinschaft ein. Später erzählte mir seine Frau Liselotte, daß Klaus mir sein letztes Buch in der Annahme "aus dem wird noch mal was" schenkte. 

Schon acht Tage nach Claviger besuchte ich die erste Exkursion der Arbeitsgemeinschaft: Treffpunkt Parkplatz hinter dem Tunnel von Altenahr. Von Klaus Koch erhielt ich eine Landkarte, dann ging es zur Gesiebeexkursion in das Langfigtal. Dieter Siede mit komischem Bart, der Student Paul Wunderle und der sehr nette ältere Herr, der mir als Hans Gräf vorgestellt wurde, sind mir noch in Erinnerung. Es war alles seltsam steif, selbst die Gleichaltrigen siezten sich, ein Zustand der später sukzessive behoben wurde. Nach kurzer Zeit verstreute sich die Gesellschaft in alle Richtungen. Ich - ohne Käfersieb, was ist das? - schloß mich einem jungen, inzwischen verschollenen Kollegen aus Wuppertal an, dessen Käfertasche von seiner Freundin getragen wurde, ein Luxus den ich mir seinerzeit noch nicht leisten konnte. Mittels Küchensieb untersuchte ich morsches Holz, Moos und Grasbüschel. Die Ausbeute, die stolze 20 Arten enthielt, wurde später von Klaus überprüft und bestimmt.

Bildtafel mit von Klaus Koch bestimmten und gezeichneten subfossilen Käferresten aus römerzeitlichen und mittelalterlichen Ausgrabungen (1970). 

Von diesem Zeitpunkt an führte ich detailliert Tagebuch und meldete jährlich meine seltenen Käfer an Klaus, ein Verhalten, das auf dem Irrglauben beruhte, daß alle Koleopterologen alles notieren und ihre Daten weiterleiten. Einen anderen Irrglauben konnte ich später aber zum Positiven korrigieren. Die meisten Käfer werden in der "Käferfauna der Rheinprovinz" von Klaus Koch als selten oder sehr selten und mit wenigen Fundorten angeführt. Dieser Umstand verleitete mich zu der Annahme, daß die meisten Arten bei den herrschenden Umweltbedingungen mittlerweile ausgestorben und für mich unauffindbar sein dürften. Folglich veranschlagte ich meine erste Käfersammlung auf vier Kästen. 

Anfang Februar 1984 hörte ich im Zoologischen Institut der Universität Köln einen Vortrag von Prof. Heydemann aus Kiel zum Thema Ökologie, der bei mir ärgste Zweifel am Treiben der Rheinischen Koleopterologen weckte, hatte ich doch den Eindruck, daß sich die Hauptbeschäftigung scheinbar auf das Sammeln und Töten von Tieren beschränkte. Über die Ziele der Arbeitsgemeinschaft hatte mich bis dahin niemand aufgeklärt und eine rheinische Koleopterologen-Zeitschrift, die Ansätze und Perspektiven vermittelte, gab es nicht. Es war für einen Anfänger, der Spaß am Sammeln hat, noch nicht ersichtlich, welche Grundlagenfunktionen die Faunistik und Taxonomie für andere zoologische Forschungsbereiche sowie den Natur- und Artenschutz übernehmen. 

Die nächste winterliche Exkursion der Arbeitsgemeinschaft führte am 18. Februar 1984 in den Hambacher Forst und gab schon einen besseren Eindruck hinsichtlich der Arbeitsziele. Die Käferfauna des durch den Braunkohleabbau bedrohten Gebietes sollte dokumentiert werden. Klaus gab mir für den Vormittag sein Käfersieb und instruierte mich, wie Formica-Nesthaufen zu untersuchen seien. Ich erhielt immerhin vier typische Ameisenkäfer, hinzu kam Amidobia talpa, die mir Klaus später noch bestimmte. Am Nachmittag sollten Maulwurfshügel untersucht werden. Die Vorgehensweise habe ich damals auch mit Erklärung noch nicht verstanden - vielleicht weil trotz heftiger Aktivitäten der erfahrenen Exkursionsteilnehmer kein Nest gefunden wurde. Die Hambach-Ergebnisse wurden leider bis heute noch nicht veröffentlicht. 

In den Folgejahren sammelte ich immer mehr Käfer, Klaus mußte ich zu seiner Freude aber immer seltener um Rat fragen. Auf seine Bestimmungshilfe war immer Verlaß, auch wenn er, wie ich erst später nach einer deftigen Beschwerde von Lohse über die rheinischen Koleopterologen bemerkte, immer einen großen Bogen um Genitalpräparate machte. Die Besuche bei ihm verliefen stets gleich: Die Käfer wurden bei einer Tasse Tee mit großer Geschwindigkeit unter dem Bino betrachtet, selten ein Blick in die Bücher geworfen und die Bestimmungsergebnisse diktiert. Daneben unterhielten wir uns über allgemeine Käferprobleme, so zum Beispiel den Schädlingsbefall von Sammlungen, da ich gerade bei mir Staubläuse gefunden hatte. "Wieso" sagte Klaus "ich hatte noch nie Schädlinge" und zündete sich den nächsten Zigarillo an. 

Er war sehr zurückhaltend und gab ungefragt nur wenige Ratschläge. Durch Beobachtung, was auf Exkursionen aufgrund seines ausgeprägten Fluchttriebes zuweilen schwierig war, konnte ich aber sehr viel erfahren. Die wichtigsten Regeln könnte man als "intensive Beschränkung" zusammenfassen: Intensives Sammeln und gleichzeitige Beschränkung auf ein Gebiet führt letztlich schneller zu guten Artenkenntnissen und Einsichten in ökologische Zusammenhänge als ungezielte sporadische Aufsammlungen hier und da. Mit umfassender Unterstützung von Klaus, der mich zusammen auch mit anderen Kollegen auf zwei Exkursionen begleitete, wurde 1986 das Worringer Bruch bei Köln eingehend untersucht. Alte Sammlungsdaten von Josef Rüschkamp bis Heinz-Dieter Appel, zu dem ich durch die Vermittlung von Klaus noch intensive Kontakte knüpfen konnte, wurden recherchiert, zu einem Zeitvergleich zusammengefügt und 1988 in der Decheniana publiziert. 

Exkursion nach Hinsbeck 1965: Klaus Koch mit Tochter Ute, Georg Modrow und Hans Gräf.

Im gleichen Jahr übernahm ich auf Anregung von Klaus die Schriftführung der Arbeitsgemeinschaft. 1989 stellte Klaus den dritten Nachtrag zur Käferfauna der Rheinprovinz zusammen und übergab mir nach Abschluß des Manuskriptes alle weiteren eingegangenen Mitteilungen von Kollegen für den vierten Nachtrag. Einer seiner großen Wünsche war die Erstellung einer fünften rheinischen Käferfauna nach Förster, Bach, Roettgen und - in Deutschland immer noch unübertroffen - Koch 1968. Er hat noch einige Vorarbeiten hierzu geleistet. Unter anderem hat er eine Liste derjenigen Arten erstellt, die offenbar seltener geworden sind und von denen Daten zur Analyse der Faunenveränderung erhoben werden müßten. Durch seine Arbeiten an den Ökologie-Bänden zu den "Käfern Mitteleuropas" wurde allerdings eine weitere Beschäftigung mit der rheinischen Fauna blockiert. Die Revisionsprojekte der vergangenen Jahre haben zwei Dinge gezeigt: Auf der einen Seite sind bis zu einer neuen modernen Faunistik noch erhebliche Vorarbeiten bei der Datensammlung und Revision alter Belege zu leisten. Auf der anderen Seite sind viele Kollegen immer wieder nur mit Mühe zur Mitarbeit zu bewegen, so daß es heute zweifelhaft erscheint, daß eine Faunistik, die den heutigen Ansprüchen gerecht werden kann, in absehbarer Zeit erscheinen wird. Klaus Koch wäre es eine große Freude, wenn wir weiter in Seinem Sinne die Ökologie und Verbreitung der Käfer des Rheinlandes erforschen, die Veränderung der Fauna dokumentieren und unsere Erkenntnisse in aktuelle wissenschaftliche und umweltpolitische Diskussionen einbringen würden.

Aus: GRÄF, H., F. KÖHLER, W. KOLBE, W. LUCHT & D. SIEDE (1995): Erinnerungen an Klaus Koch. - Mitt. Arb.gem. Rhein. Koleopterologen (Bonn) 5, 131-148.

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